MUSEUMSPROGRAMME - PRESSE

Linke Melancholie oder Einbahnstrasse

Eine Musik-Text-Collage im Rahmen der Ausstellung "SCHRIFT BILDER DENKEN: Walter Benjamin und die Kunst der Gegenwart"

 

Walter Benjamin, dieser Philosoph und Literat, lädt‘ geradezu ein, musikalisch-literarisch durch das Berlin der Kaiserzeit und der Weimarer Republik zu flanieren. Das Erleben seiner Kindheit, seiner Jugend, seiner Mannesjahre und seiner Emigration, schriftlich fixiert in den Sammelbänden "Angelus Novus", "Einbahnstrasse", "Berliner Kindheit" und dem "Passagen-Werk" und in Ausschnitten ausgewählt, lassen sich mit Chansons verknüpfen, da sie inhaltlich das von Benjamin Geschriebene ergänzen. Mit diesen Chansons, komponiert von Rudolf Nelson, Friedrich Hollaender, Mischa Spoliansky u. a., die das musikgeschichtliche Bild Berlins der Weimarer Republik bis zur Machtübernahme prägten, korrespondieren authentische Texte von Journalisten wie F. W. Koebner und Sling ebenso wie die Lyrik von Erich Kästner, Walter Mehring und Kurt Tucholsky, die Walter Benjamin in seinem Aufsatz "Linke Melancholie" vehement angriff. Als der am heftigsten Attackierte, bekommt Erich Kästner in der Textcollage breiteren Raum eingeräumt.

 

Neben politischen Aspekten macht die Musik-Text-Collage das Publikum mit einem Berlin bekannt, in dem Schatten- und Glanzseiten in konzentrierter Dichte nebeneinander existierten. Von Bettlern und Huren, vom "nackten Elend" ist ebenso zu hören, wie von den freundschaftlichen Beziehungen Walter Benjamins zu Bertolt Brecht. DIE Berliner Gesellschaft, DIE Berliner Saison werden musikalisch-literarisch gestreift und ein spezieller Blick auf das Jahr 1928, dem Erscheinungsjahr der "Einbahnstrasse", gibt über weitere Ereignisse Auskunft.

 

Womöglich mehr als andere europäische Großstädte bot Berlin den Künstlern und Künstlerinnen viel Platz und Spielraum für künstlerische Experimente und das Ausleben ihrer Kunst. In diesem geistig-intellektuellen wie gesellschaftlichen Kontext gehörte der Gebrauch von Sucht- und Rauschmitteln zum guten Ton. Auch Walter Benjamin konsumierte in der Zeit von 1927-1930 Haschisch, allerdings unter ärztlicher Kontrolle. Auszüge aus seinen (bislang weniger bekannten) Haschisch-Protokollen, die er nach der Einnahme des Rauschmittels niederschrieb, geben darüber Auskunft. Damit verbunden untermalen Friedrich Hollaenders und Mischa Spolianskys Kompositionen "Kokain-Rausch" und "Morphium" diese Texte.

 

Die sich aus der Musik-Text-Collage ergebende Symbiose von Literatur, Lyrik, journalistischen Aufzeichnungen, authentischen Werbetexten und Chansons, sprachlich wie gesanglich interpretiert, verleiht Walter Benjamin und seiner Zeit eine nachempfindbare Vielschichtigkeit. Da die Themen, die er in seinen für die Collage ausgewählten Texten behandelt hat, auch die Themen vieler anderer Schriftsteller und Komponisten sowie Maler und Fotografen Berlins von der Jahrhundertwende bis 1933 waren, bringt das dem Zuhörer den Menschen Walter Benjamin im seinerzeit real existierenden Alltagsleben auf eine neue und andere Art näher.

 

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